Neandertaler im Norden – eine archäologische Lehr- und Forschungsgrabung der nördlichsten neandertalerzeitlichen Fundstelle Mitteleuropas

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Systematik von oben: die Ausgrabungsfläche der diesjährigen Grabungskampagne. Foto: F. Rohweder.

Nahe bei Drelsdorf in Nordfriesland, Schleswig-Holstein, liegt die nördlichste bekannte mittelpaläolithische Fundstelle. Für die Erforschung menschlichen Verhaltens ist der Norden äußerst interessant, denn er unterlag im Eiszeitalter besonders stark den klimatischen Schwankungen. Die Umwelt änderte sich dramatisch – von einem bewaldeten Lebensraum der letzten Warmzeit von vor etwa 120.000 Jahren bis hin zur Kältesteppe im Hochglazial. Daher können gerade im Norden Anpassungsstrategien unserer Vorfahren an sich ändernde Klimabedingungen erforscht werden. Vor allem in Niedersachsen gibt es zahlreiche nördlich gelegene neandertalerzeitliche Fundplätze – über unsere diesjährigen Arbeiten in Lichtenberg haben wir hier bereits berichtet. Jedoch liegt keine dieser Fundstellen so weit im Norden wie Drelsdorf, was der Fundstelle eine besondere, wenn nicht gar einmalige Bedeutung zukommen lässt. Daher hat das Institut für Ur- und Frühgeschichte, FAU, zusammen mit der Aarhus University (Dänemark), dem Museum für Archäologie Schloss Gottorf (Schleswig), mit Unterstützung des Kooperationsprojektes „Climate Change and Early Humans in the North“ und zahlreichen freiwilligen Helfern:innen in Drelsdorf eine dreiwöchige archäologische Forschungs- und Lehrgrabung durchgeführt.

Drelsdorf, Schaber aus Feuerstein. Gefunden von H. Jürgens im Mai 2021. Foto: H. Jürgens.

Bereits seit den 1970er Jahren ist die Fundstelle durch mittelpaläolithische Oberflächenfunde bekannt, die von H. I. Boockhoff (Drelsdorf) systematisch gesammelt und dokumentiert wurden. Dabei sind die Funde zumeist oberflächenmodifiziert, d.h. ihre ursprüngliche scharfkantige Oberfläche wurde durch geologische Umlagerungsprozesse und eiszeitliche starke Winde, die Sand durch die Kältesteppe transportierten, abgeschliffen und verrundet. Dies schloss von vornherein ein jungsteinzeitliches oder bronzezeitliches Alter der Funde aus. Aufgrund der zahlreichen Artefaktfunde wurden in den 1980er Jahren von S. Hartz (Museum für Archäologie Schloss Gottorf) erste Sondagen des Untergrundes durchgeführt, die aber leider keine Hinweise auf erhaltene Fundschichten lieferten.

Drelsdorf, Luftbild der Ausgrabung. Foto: F. Rohweder.

Mit der Sammlung Boockhoff lag bis in die frühen 2000er das größte mittelpaläolithische Inventar Schleswig-Holsteins vor, bestehend aus 149 Abschlägen, 25 Kernen und 10 Geräten (untersucht von J.Beuker, M. Niekus [beide NL] und S. Hartz). Zusammen mit niederländischen Kollegen konnte die Arbeitsgruppe durch systematische Feldbegehungen in den Jahren 2015, 2016 und 2018 das Inventar noch um 35 Artefakte erweitern.

Seit 2016 wird die Feldflur regelmäßig von H. Jürgens (Flintbek) begangen und alle Funde werden systematisch dokumentiert und eingemessen. Im Mai 2021 konnte H. Jürgens einen Fund machen, der besonders hervorzuheben ist: ein Flint-Schaber, dessen Oberfläche weniger modifiziert und abgerollt war, als es sonst für die Funde aus Drelsdorf typisch ist. Nun war wieder Hoffnung gegeben, dass in diesem Bereich des Feldes eventuell doch noch Fundschichten erhalten sein könnten.

Noch im selben Jahr wurden von M. Segschneider (NiHK, Wilhelmshaven), S. Hartz, M. Weber (Museum für Archäologie Schloss Gottorf) und niederländischen Kollegen erneut kleinere Sondagen in Drelsdorf angelegt. Auch T. Kellberg Nielsen (Aarhus University) und M. Weiß (FAU) sind dabei Teil der Arbeitsgruppe geworden. In einigen der Grabungsschnitte konnten in geringer Tiefe einige noch scharfkantig erhaltene Artefakte gefunden werden. Da die Sedimente aber stark durch Umlagerungen im eiszeitlichen Permafrostboden verstellt sind, war die Zuordnung der Funde zu einem bestimmten Sediment nicht eindeutig möglich. Den Zusammenhang zwischen Fund und Sediment zu verstehen ist aber essenziell, um die Funde mit physikalischen Methoden datieren zu können (beispielsweise mit der optisch stimulierten Lumineszenz [OSL] von Quarzkörnern).

Hier setzten nun unsere diesjährigen Untersuchungen an. Ziel war es, eine größere Fläche zu öffnen und systematisch auszugraben, um mehr über die Fundzusammenhänge und den Charakter des Fundmaterials herauszufinden.

Systematik aus der Nähe: Die Ausgrabung nach Viertelquadraten in Drelsdorf.

Ausgegraben wurde nach Viertelquadraten. Das ausgegrabene Sediment wurde vor Ort mit 4 mm Maschenweite geschlämmt, damit uns auch die kleinsten Funde nicht entgehen konnten. Im Ergebnis haben wir mehrere Sedimenteinheiten nachweisen können, in denen die Funde streuen, wobei in einem Sediment die Funde gehäuft auftraten. Bei den Funden handelt es sich hauptsächlich um kleinere und größere Feuersteinabschläge, wie sie bei der Herstellung von Werkzeugen, beispielsweise Messern, entstehen. Technologisch und typologisch passen diese Funde gut zu dem Schaber, den H. Jürgens 2021 auf dem Feld nahe unserer Grabungsfläche gefunden hatte.

Im Ergebnis konnten wir unsere diesjährigen Ziele erreichen, wenn nicht gar übertreffen, was nicht zuletzt der stets positiven Stimmung in einem großartigen Team aus Student:innen (FAU Erlangen-Nürnberg und CAU Kiel), freiwilligen Helfer:innen und Wissenschaftler:innen geschuldet war. Die Arbeit an dieser spannenden Fundstelle hat gerade erst begonnen und es ist geplant, die Ausgrabungen in Drelsdorf im nächsten Jahr fortzuführen.