Nachruf für Prof. Dr. Gisela Freund

FAU UFG
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Nachruf

für

Prof. Dr. Gisela Freund

geb. am 30.11.1920 in Solingen – gest. am 09.03.2023 in Erlangen

Das Institut für Ur- und Frühgeschichte trauert um seine langjährige Ordinaria Prof. Dr. Gisela Freund. Sie hatte von 1969 bis 1987 den Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte an der FAU inne. Während dieser Zeit hat sie das Institut maßgeblich geprägt, in seiner jetzigen Eigenständigkeit erhalten und seine weitere Entwicklung durch erfolgreiche Forschungen im In- und Ausland gefördert.

Gisela Freund studierte von 1940-1944 die Fächer Ur- und Frühgeschichte, Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte, Geografie und Paläontologie an den Universitäten Greifswald, Breslau und Prag und schloss ihr Studium mit einer Promotion bei Lothar Zotz an der Deutschen Karls-Universität im besetzten Prag ab. Unmittelbar nach ihrer Ernennung zur Assistentin am dortigen Institut für Ur- und Frühgeschichte musste sie aus Prag fliehen und begann 1946 in Marburg an ihrer Habilitation mit dem Titel „Die Blattspitzen des Paläolithikums in Europa“ zu arbeiten. Ihre Habilitation erfolgte 1949 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), wo sie seit 1947 außerplanmäßige Assistentin am Institut für Ur- und Frühgeschichte war.

Sie war zu diesem Zeitpunkt (und bis weit in die 1960er-Jahre hinein) eine der ganz wenigen Frauen im deutschen Sprachraum, die überhaupt im Fach Ur- und Frühgeschichte habilitiert waren. Das galt umso mehr für die FAU, wo sie 1950 die erste Frau war, die nach einem ordentlichen Habilitationsverfahren zur Privatdozentin ernannt wurde. Nachdem sie die Positionen der Wissenschaftlichen Assistentin am dortigen Institut für Ur- und Frühgeschichte bekleidet hatte und schließlich zur außerordentlichen Professorin ernannt worden war, erhielt sie 1969 einen Ruf an die Universität nach Hamburg, den sie jedoch zugunsten ihrer Berufung an die FAU auf den Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte (Nachfolge Zotz) ablehnte. Ihre Ernennung zur Ordinaria eines Instituts der Philosophischen Fakultät an der FAU war wiederum ein Novum, war sie doch die erste ordentliche Professorin an dieser Fakultät und zum Zeitpunkt ihrer Ernennung erst die dritte ordentliche Professorin an der FAU überhaupt (nach Ingeborg Esenwein-Rothe und Fairy von Lilienfeld). Bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1987 war sie zudem die einzige Frau in Deutschland, die im Fach Ur- und Frühgeschichte eine C4-Stelle bekleidet hat.

Gisela Freund verdankt ihren außerordentlichen Erfolg ihrer Begeisterung für und ihrer Verpflichtung gegenüber dem Fach, der sie nahezu alles andere untergeordnet hat, ihrer geradezu legendären Disziplin, ihrem herausragenden Überblickswissen gepaart mit einer Hingabe an die Details und einem schwer zu erreichenden Perfektionismus. Sie war zwar in erster Linie eine vorzügliche Kennerin der eurasischen Altsteinzeit und auf die Analyse von Steinartefakten spezialisiert, verfügte darüber hinaus jedoch über zahlreiche weitere Expertisen. So hat sie die Funde immer quellenkritisch in ihrem stratigraphischen und sedimentologischen Kontext gesehen und viele Sediment-Analysen – teilweise im Labor der Universität in Tübingen – selbst durchgeführt. Deren Ergebnisse und, wenn möglich, eigene Geländebeobachtungen wurden in detaillierten Analysen der Sedimentationsprozesse zusammengeführt. Beispielhaft hierfür sei ihre Arbeit zu „Sesselfelsgrotte 1. Grabungsverlauf und Stratigraphie“ genannt, die man heute als eine wichtige Arbeit zum weiterhin hochaktuellen Themenkomplex des „Site Formation Process“, d.h. der Fundplatzgenese, zählen würde. Ihr Bestreben, ihre eigenen Kenntnisse ständig zu verbessern, spiegelt sich auch in ihren regelmäßigen Besuchen der Grabungen von H. Movius im Abri Pataud in den 1960er Jahren, die mit ihrem Bestreben, natürliche Schichtoberflächen freizulegen, wegweisend waren. Später hat sie u.a. bei der Untersuchung der Steinartefakte aus der Obernederhöhle sehr früh den Ansatz der Werkstückmethode, der spätere Untersuchungen der Sesselfelsgrotte maßgeblich leiten sollte, angewendet oder aber Drittmittelanträge zum Altpaläolithikum in Indien und Nepal durch Reisen in das Untersuchungsgebiet akribisch vorbereitet.

Neben ihrer Forschung und Lehre war sie auch intensiv in fachlichen Institutionen engagiert. So war sie Gründungsmitglied der Hugo Obermaier-Gesellschaft für Erforschung des Eiszeitalters und der Steinzeit, dortiges Vorstandsmitglied bis 1997 (für lange Jahre als Schriftführerin, über viele Jahr hinweg als Vizepräsidentin), Mitbegründerin des Jahrbuchs Quartär, der Quartär-Bibliothek und gleichzeitig treibende Kraft hinter der Monographienreihe zur Sesselfelsgrotte. Mit dieser Fundstelle ist sicherlich der Schwerpunt ihrer Arbeiten in Bayern genannt. Die nur wenige Jahr zurückliegende Entdeckung und gerade angelaufene systematische Ausgrabung dieser zentral-mitteleuropäischen „Jahrhundertstratigraphie“ waren, wie sie selber sagte, die Hauptgründe für ihre Ablehnung des Rufs nach Hamburg. Dieser Fundstelle hat Gisela Freund große Teile ihres (Arbeits-)Lebens gewidmet. Mit der bis heute sieben Bände umfassende Reihe zur Genese und zu den kulturellen Abschnitten des Fundplatzes, die sie als Herausgeberin redaktionell bis zum fehlerfreien Druck betreute, hat sie Grundlegendes geschaffen und hinterlassen. Andere von ihr monographisch vorgelegte Arbeiten, wie etwa zur Höhlenruine von Hunas, zu den mittelpaläolithischen Funden aus dem Regensburger Raum oder zur Obernederhöhle, hat sie zwar mit der gleichen Akribie verfasst bzw. editiert, aber immer betont, dass deren Fertigstellung auch Verpflichtungen gegenüber früh verstorbenen Mitautoren bzw. Mitherausgebern war. Neben ihren zahlreichen Forschungen in Bayern hat sich Gisela Freund immer auch für andere Zeiten und Räume interessiert. So war sie nicht nur Antragstellerin für Projekte zum Paläolithikum in Indien und Nepal, sondern hat eben nicht nur zu ihrem engeren Fachgebiet gelesen, sondern zu allen Themen der Ur- und Frühgeschichte bis in die Eisenzeit.

Bis zu ihrem Tod hat Gisela Freund mit großer intellektueller Klarheit an der Entwicklung des Instituts und der dortigen Forschungen Anteil genommen. Darüber hinaus war sie Mitherausgeberin der Monographien-Reihe zur Sesselfelsgrotte und kam zunächst täglich, in den letzten Jahren dann wöchentlich in das Erlanger Institut. Als Emerita unterhielt sie ein Arbeitszimmer, um die Arbeiten an den Texten zu den Sesselfelsgrotte-Bänden zu organisieren, die Manuskripte durchzuarbeiten und die Druckfahnen zu kontrollieren. Solange im Fach lehrend und forschend aktiv, war Gisela Freund für ihren eher formal-korrekten Umgang mit den meisten Kollegen:innen und einer recht hierarchischen Behandlung der Studierenden und Promovenden bekannt. Man darf und muss davon ausgehen, dass dies auch der Tatsache geschuldet war, dass sie sich in einer Männerwelt durchsetzen und behaupten musste. Andere Seiten ihres Charakters wie ihre humorvolle Art und ihre Großzügigkeit, die sich u.a. in der Begründung der Gisela Freund-Stiftung an der FAU ausgedrückt hat, mögen vielen Altersgenossen:innen, Fachkollegen:innen außerhalb des Erlanger Instituts und den meisten Studierenden aus den oben genannten Gründen verborgen geblieben sein.

Die letzten mehr als 10 Jahre, in denen sich das jetzige Kollegium des Instituts für Ur- und Frühgeschichte an der FAU zusammengefunden hat, waren geprägt von gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Unterstützung, dem Interesse an den wissenschaftlichen (Publikations-)Vorhaben des jeweils anderen und einem harmonischen Miteinander. Die Mitarbeiter:innen des Instituts für Ur- und Frühgeschichte werden Prof. Freund vermissen.

 

Für das Institut für Ur- und Frühgeschichte

Prof. Dr. Thorsten Uthmeier